
Eine der beeindruckendsten Eigenschaften vieler der heutigen Top-Trainer im Bereich des Natural Horsemanship ist ihre Ehrlichkeit, zuzugeben, dass sie nicht alle Antworten haben. Sie erinnern uns daran, offen zu bleiben und dass Horsemanship eine lebenslange Reise ist, auf der wir niemals aufhören zu lernen. Ihr Wunsch, den besten Weg zu finden, um wahre Einheit zwischen Mensch und Pferd zu erreichen, macht sie zu großartigen Lehrern.
Ob Tom Dorrance, Ray Hunt, Pat Parelli, John Lyons oder Buck Brannaman – alle wurden ursprünglich in eher traditionellen (nicht-natürlichen) Methoden des Pferdetrainings unterrichtet. Bemerkenswert ist, dass sie erst nach ihrem beruflichen Erfolg öffentlich zugaben, dass eine andere Herangehensweise vielleicht besser sei. Das erforderte nicht nur einen offenen Geist, sondern auch große Demut – und den Mut, über das eigene Ego hinauszuwachsen.
Ich selbst bin nicht mit Pferden aufgewachsen und hatte bis in meine 40er keinen Kontakt zu ihnen. Die schlechte Nachricht: Ich habe verpasst, jung, furchtlos und wild draufloszureiten. Die gute Nachricht: Als ich mich endlich in Pferde verliebte und alles lernen wollte, was ich nur konnte, wurde Natural Horsemanship gerade von echten Meistern gelehrt.
Ein „alter“ Anfänger zu sein, stellte sich als Segen heraus. Ich wusste, dass ich nichts wusste. Ich konnte endlos Fragen stellen, Fehler machen, vom Pferd fallen – und musste nie diesen quälenden Schmerz erleben, wenn das Ego schreit: „Du siehst schlecht aus!“ oder „Was denken wohl die anderen über dich?“
Mit den Jahren aber, als ich mehr lernte, tauchte ein vertrautes kleines Stimmchen in meinem Kopf auf – beim Spielen mit Pferden und beim Unterrichten von Menschen. Es sagte: „Jetzt, wo du ein Horseman und Lehrer bist, ist es wichtig, dass du so wirkst, als hättest du die Antworten. Also stell keine Fragen mehr.“
Heute, wenn ich mit Menschen arbeite und sehe, wie sie mit ihrem Ego kämpfen, wie schwer es ihnen fällt, offen zu bleiben und etwas Neues zu versuchen – dann sehe ich mich selbst. Was für den Schüler schwierig ist, kann auch für den Lehrer herausfordernd sein. Anders als Pferde haben Menschen Egos. Manchmal ist das anstrengend, aber ich weiß: Ich lerne mehr, wenn ich versuche, im sogenannten „Anfängergeist“ zu bleiben – wie ihn die Buddhisten beschreiben. Ich erinnere mich: Als ich Anfänger war, habe ich nie schneller oder mehr gelernt. Und ich war auch nie glücklicher.
Je mehr ich über die Beziehung zwischen Mensch und Pferd lerne, desto klarer wird mir: Wir alle, die wir Pferde lieben und reiten, haben im Kern dasselbe Ziel. Es spielt keine Rolle, ob wir Englisch oder Western reiten, ob wir an der Spanischen Hofreitschule gelernt haben oder auf einer Rinderfarm in Montana. Das Ziel ist: Eins zu sein mit dem Pferd. Einen echten, glücklichen und willigen Partner zu haben. In Harmonie zu reiten – so, dass es dem Pferd ebenso viel Freude macht wie uns.

Vor vielen Jahren hatte ich das große Glück, mit dem verstorbenen Tom Dorrance zu lernen. Ich hatte Millionen Fragen an ihn. Ich wollte alles wissen, was er wusste – was natürlich nicht möglich war. Also fragte ich ihn zumindest, welche Bücher er mir zum Weiterlesen empfehlen würde.
Tom war auf einer Pferde- und Rinderfarm in Nordkalifornien aufgewachsen. Als Horseman war er so bekannt und respektiert, dass man ihn den „Anwalt der Pferde“ nannte – weil er einem genau sagen konnte, was das Pferd einem mitzuteilen versuchte.
Natürlich rechnete ich mit einem klassischen Cowboy-Handbuch. Stattdessen sagte er nur: Lies „Dressur“ von Henry Wynmalen und „Verwandtschaft mit allem Leben“ (Kinship With All Life) von J. Allen Boone. Ich wusste nicht, was mich bei dem zweiten Buch erwartete – aber Dressur kannte ich, und das war nun wirklich das Letzte, was ich von einem kalifornischen Cowboy erwartet hätte.
Ich kaufte beide Bücher, las sie – und im Laufe der Jahre viele weitere. Heute weiß ich, warum einer der größten Horsemen unserer Zeit mir gerade diese empfohlen hat.
Dressur vermittelt genau das, was wir mit jedem Pferd tun sollten – unabhängig von der Reitweise: Kommunikation durch Leichtigkeit – vom Geist über den Körper zu den Beinen und zu den Hufen. Es lehrt uns, mit dem Pferd nicht nur körperlich, sondern auch mental und emotional zu kommunizieren.
Verwandtschaft mit allem Leben ist ein ganz schmales Büchlein. Manche finden es zu „abgehoben“ oder kindlich. Andere empfinden es als charmant. Aber seine Botschaft ist klar: Pferde – wie alle Tiere und auch der Mensch – besitzen ein spirituelles Wesen. Für mich bedeutet das: Auf irgendeiner Ebene sind wir alle verbunden und gleichwertig. Wir alle verdienen Mitgefühl und Respekt. Etwas zum ersten Mal zu lernen kann spannend sein. Etwas Neues oder Anderes zu lernen auch – aber es kann unser Ego ziemlich herausfordern.
Natural Horsemanship lehrt mich, flexibel zu bleiben. Nichts ist in Stein gemeißelt. Wenn ich weiter lernen und mich verbessern will, brauche ich einen offenen Geist. Der Tag, an dem ich aufhöre zu lernen, ist der Tag, an dem ich aufhöre zu wachsen. Wenn ich möchte, dass mein Pferd lernbereit ist, muss ich es auch sein.
Das ist natürlich.
Leo Tolstoi schrieb:
„Ich weiß, dass die meisten Menschen – selbst solche, die mit den komplexesten Problemen mühelos umgehen – kaum in der Lage sind, die einfachste und offensichtlichste Wahrheit zu akzeptieren, wenn sie sie dazu zwingen würde, sich einzugestehen, dass ihre bisherigen Schlussfolgerungen falsch waren. Schlussfolgerungen, die sie mit Begeisterung ihren Kollegen erklärten, mit Stolz anderen lehrten und die sie Faden für Faden in den Stoff ihres Lebens eingewebt haben.“
Tim Hayes ist Experte für Pferdeverhalten und -therapie und hat sich auf Natural Horsemanship spezialisiert. Er bietet verschiedene Seminare (engl. Clinics) an, die auf seinen Büchern „Riding Home-The Power of Horses to Heal“ und „Horses, Humans, and Love“ basieren.
Hayes ist dafür bekannt, außergewöhnliche Beziehungen zwischen Pferden und Menschen zu fördern. Seine Arbeit konzentriert sich auf drei Hauptbereiche: Equine Therapy Clinics, Self-Discovery Clinics und Natural Horsemanship Clinics.
Für detailliertere Informationen können Sie seine Website hier besuchen.