Warum Zwang beim Pferd nicht funktioniert

– und was wirklich hilft

Zwang beim Pferd
Gewaltanwendung auf dem Pferderücken kann zu Aufbäumen führen. (Foto von Tim Hayes)

Zwang zu benutzen, um zu bekommen, was man will, ist ein Paradox: Man mag zunächst bekommen, was man wollte – aber fast immer bekommt man auch viele Dinge, die man nicht wollte. Zwang kann kurzfristig funktionieren, hinterlässt jedoch immer tiefgreifend negative Nebenwirkungen. Das gilt im Umgang mit Menschen ebenso wie mit Pferden.

Für viele Pferdemenschen schien es lange keine echte Alternative zu geben. Ich habe unzählige Male Sätze gehört wie:
„Ich wollte mein Pferd nicht zu ___ zwingen, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen.“
Oder:
„Mein Trainer hat das Pferd zu ___ gebracht, und obwohl ich das furchtbar fand, dachte ich: Der weiß schon, was er tut. Ich habe mir insgeheim gewünscht, dass es auch ohne Zwang geht – aber ich hatte keine Ahnung wie.“

Tatsächlich gibt es diesen anderen Weg – und zwar seit Tausenden von Jahren. Doch erst in den letzten fünfzig Jahren wird er nach und nach wiederentdeckt: Natural Horsemanship.
Dieser Ansatz ersetzt Zwang durch Kommunikation, Psychologie und Mitgefühl – also genau das, was Pferde selbst nutzen, wenn sie untereinander etwas klären. Es ist ihr natürlicher Weg. Sie würden es ganz einfach Führung nennen.

Wenn ein Mensch etwas will, fragt er zunächst danach. Bekommt er es nicht, wird er ungeduldig, frustriert oder wütend. Daraus entsteht schnell Druck, Einschüchterung oder Zwang – auf mentaler, emotionaler oder physischer Ebene.
Das ist Aggression. Menschen verhalten sich so zueinander – und oft auch gegenüber ihren Pferden.

Ein Pferd dagegen nutzt keine Aggression, sondern Dominanz durch Unbehagen. Es legt die Ohren an, kehrt einem den Hintern zu oder hebt drohend ein Bein. Damit sagt es:
„Wenn du nicht aufhörst oder nachgibst, wird es unangenehmer.“

Der andere – ob Pferd oder Mensch – weicht aus Respekt zurück.
Das ist Selbstbehauptung.
Selbstbehauptung schafft Respekt.
Aggression erzeugt Angst.
Zwang ist Aggression.

Menschen und Pferde sind unterschiedlich

Menschen sind Raubtiere. Pferde sind Fluchttiere.
Die natürlichen Feinde der Pferde sind Raubtiere:
Berglöwen, Wölfe – und ja, auch der Mensch.
Raubtiere töten Beutetiere. Pferde wissen das instinktiv:
Raubtiere sind aggressiv – Raubtiere nutzen Zwang – Raubtiere fressen Beute.

Darum ist Zwang der „natürliche Feind“ des Pferdes.

Das natürliche Zuhause eines Pferdes ist die freie Fläche, mit anderen Pferden – und Raum zur Flucht.
Das natürliche Zuhause des Menschen?
Ein Haus (also ein Stall), eine Wohnung (eine Box) oder früher: eine Höhle (ein Pferdeanhänger).

Wenn ein Pferd zum ersten Mal gebeten wird, unsere Welt aus Stall, Box und Hänger zu betreten, braucht es eines:
Geduld und Mitgefühl.
Wenn es zögert, zeigt es uns nur:
„Das fühlt sich beängstigend an. Bitte zwing mich nicht.“

Aus Sicht des Pferdes gilt:
Solange es sich nicht sicher fühlt, will es nicht gefangen sein – denn Flucht ist überlebenswichtig.
Gefangensein bedeutet: Ich werde gleich gefressen.
Zwang fühlt sich für das Pferd immer wie eine Falle an.

Wenden wir Zwang an – besonders bei unsicheren Pferden – versuchen sie mit aller Kraft zu fliehen.
Je mehr Druck, desto mehr Widerstand – und desto größer die Gefahr für Mensch und Pferd.
Niemand wird gern gezwungen.

Als Kind wurde ich von meinem Vater zum Trompetespielen gezwungen. Er war einschüchternd – aber ich hatte nie Angst, gefressen zu werden.
Ein Pferd dagegen liest unsere Emotionen sofort. Frust, Ärger oder Wut – all das wirkt auf das Pferd wie eine Raubtier-Attacke.

Was mit einem kleinen Widerstand beginnt, kann durch Zwang in etwas Hochgefährliches kippen:
Das Pferd verteidigt sich mit allem, was es hat – durch Bocken, Beißen, Steigen, Treten oder Flucht.

Natural Horsemanship bedeutet, dass wir lernen, die Welt mit den Augen des Pferdes zu sehen – mit Mitgefühl.
Dass wir begreifen, wie Pferde denken – also ihre Psychologie verstehen.
Und dass wir lernen, unseren Wunsch so zu äußern, dass sich das Pferd dabei sicher fühlt – durch Kommunikation.
Dann werden wir für unser Pferd zu einem echten Führer – nicht zu einem Angreifer.

Die meisten Pferde – wie auch die meisten Menschen – sind gutmütig, lernbereit und wandlungsfähig.
Reiten ist für Pferde nicht natürlich.
Sie tragen keine anderen Pferde auf dem Rücken.
Deshalb braucht es Vertrauen, Liebe und Respekt, um sich von einem Menschen tragen zu lassen.
Das geht nur über Verbindung – nicht über Zwang.

Sobald wir die Natur des anderen wirklich anerkennen, wird Zwang überflüssig.
Dann bleibt nur das, was jede gute Beziehung ausmacht:
Verständnis, Mitgefühl – und echte Kommunikation.

Tim Hayes Natural Horsemanship Trainer Author

Tim Hayes

Tim Hayes ist Experte für Pferdeverhalten und -therapie und hat sich auf Natural Horsemanship spezialisiert. Er bietet verschiedene Seminare (engl. Clinics) an, die auf seinen Büchern „Riding Home-The Power of Horses to Heal“ und „Horses, Humans, and Love“ basieren.

Hayes ist dafür bekannt, außergewöhnliche Beziehungen zwischen Pferden und Menschen zu fördern. Seine Arbeit konzentriert sich auf drei Hauptbereiche: Equine Therapy Clinics, Self-Discovery Clinics und Natural Horsemanship Clinics.

Für detailliertere Informationen können Sie seine Website hier besuchen.

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