Hast du schon einmal versucht, mit jemandem zu sprechen, der in Panik ist – oder so wütend, dass er „blind vor Zorn“ wird? Es ist unmöglich. Diese Person ist völlig überwältigt von außer Kontrolle geratenen Emotionen. Ihr gesamtes System ist überflutet von Adrenalin. Sie will entweder kämpfen oder fliehen. Sie nimmt nur noch unerträgliche Gefühle von Panik oder Wut wahr und ist nicht mehr fähig, rational zu denken. Ihr Verhalten ist impulsiv, denn sie hat das dringende Bedürfnis, sich von diesem schlimmen inneren Zustand zu befreien.
Wenn jemand in einem solchen Zustand Hilfe von außen erfährt – in Form von Worten oder Taten – verschlimmert das in der Regel die Situation. Was kann man also tun? Bei Wut hilft meist nur: warten, bis sich der Mensch „abgekühlt“ hat, „eine Runde um den Block“ geht oder „bis zehn zählt“. Bei Panik – also einem angstausgelösten Zustand – können wir manchmal helfen, indem wir etwas tun, das die Person „aus dem Moment herausholt“.
Später, wenn sich die Lage beruhigt hat, sagen Menschen in solchen Situationen oft Dinge wie: „Ich war völlig neben mir“ oder „Ich habe komplett durchgedreht“. Physiologisch gesehen hat dieser Mensch den Wechsel vom rechten Teil des Gehirns – dem impulsiven, durch Angst oder Wut gesteuerten Bereich – zum linken Teil vollzogen, wo rationales Denken wieder möglich ist. Beim Menschen werden solche irrationalen Reaktionen meist durch Angst oder Ärger ausgelöst. Beim Pferd ist es immer Angst.
Das Gehirn eines Pferdes ist zwar deutlich weniger komplex als das des Menschen, aber es verfügt ebenfalls über zwei unterschiedlich funktionierende Gehirnhälften. Wenn ein Pferd die linke Seite seines Gehirns nutzt, kann es denken – etwa: „Will ich, dass dieser Mensch jetzt kommt und mir das Halfter anlegt? Oder gehe ich lieber zu meiner Herde zurück?“ Wenn das Pferd die rechte Gehirnhälfte nutzt, kann es nicht mehr denken. Es reagiert nur noch. Manchmal ist es nicht nur ängstlich, sondern regelrecht „blind vor Angst“ – unabhängig davon, ob man es gerade führt oder auf seinem Rücken sitzt.
Wenn ein Pferd Angst hat – es sei denn, es ist in die Enge getrieben oder gefangen, dann wird es kämpfen –, wird es immer fliehen. Pferde haben Millionen Jahre überlebt, weil ihr Überlebensinstinkt in Sekundenbruchteilen aktiviert wird. Wenn ein Pferd die rechte Seite seines Gehirns benutzt, ist Kommunikation nicht nur unmöglich – jeder Versuch, seine Bewegungsfreiheit einzuschränken, also seine Überlebensstrategie zu blockieren, führt zu starkem Widerstand und kann für beide Seiten gefährlich werden.
Dazu zählen z. B. das Ziehen am Führstrick oder am Zügel. Tatsächlich ist jeder Einsatz von Zwang, vor allem wenn er Schmerzen verursacht, zwecklos. Wenn ein Pferd die Wahl hat zwischen zwei unangenehmen Zuständen – etwa dem Schmerz eines Metallgebisses im Maul oder der Angst, der es nur durch Flucht entkommen kann –, wird es sich immer für die Flucht entscheiden. Wie können wir dem Pferd helfen – und uns selbst dabei schützen?
Wir helfen dem Pferd, von der rechten auf die linke Gehirnhälfte umzuschalten. Damit wird der nicht denkende Angst- / Fluchtmechanismus unterbrochen und der Adrenalinausstoß gestoppt. Gleichzeitig wird der denkende, logisch-rationale Bereich aktiviert, wodurch Endorphine ausgeschüttet werden, die das Pferd beruhigen.
Diesen Wechsel erreichen wir, indem wir das Pferd dazu bringen, sich in einer ihm vertrauten Übung zu bewegen, bei der es denken muss – also die linke Gehirnhälfte benutzt. Zum Rennen braucht ein Pferd keinen klaren Gedanken. Aber um z. B. seine Hinterhand seitlich zu versetzen – also ein Hinterbein über das andere zu stellen –, muss es denken. Diese Übung nennt man das Disengagement der Hinterhand (wörtlich: „das Ausschalten der Hinterhand“). Sie kann sowohl vom Boden aus als auch unter dem Sattel durchgeführt werden.
Damit holen wir seine Aufmerksamkeit zurück zu uns – bis es sich entspannen, denken und ohne Angst reagieren kann. Das lässt sich leicht erlernen – und jede Reiterin und jeder Reiter sollte es beherrschen. Es kann im Ernstfall über Leben und Gesundheit entscheiden.
Als Führungspersönlichkeit sollten wir unserem Pferd eine klare, positive Richtung geben können, die Sicherheit, Vertrauen, Komfort und Respekt vermittelt. Dann wird es sich uns zuwenden – und genau das macht uns gemeinsam sicherer.
Du führst dein Pferd von Punkt A nach Punkt B – eine Strecke, die ihr schon oft gemeinsam gegangen seid. Am Wegesrand liegt ein großer Sandhaufen. Der war in den letzten Tagen schon da – ihr seid bereits mehrfach daran vorbeigegangen, ohne Probleme. Doch heute ist der Haufen größer, er sieht anders aus. Du bemerkst es gar nicht. Dein Pferd bleibt plötzlich stehen, zieht am Strick. Du drehst dich um und siehst, wie es sich weigert, weiterzugehen.
Du kannst keinen Grund erkennen und sagst nur: „Komm schon“, während du am Strick ziehst. Der Hals deines Pferdes hebt sich leicht, seine Augen weiten sich – es zieht stärker zurück. Du wirst ungeduldig, denkst, es sei „widersetzlich“, und ziehst kräftiger. Im nächsten Moment steigt dein Pferd, reißt dir den Strick aus der Hand, dreht sich um und rennt mit voller Wucht in den nächsten Zaun.
Am nächsten Tag hast du eine ausgekugelte Schulter und eine schlimme Verbrennung durch das Seil. Dein Pferd bekommt vom Tierarzt sieben Stiche in die Brust.
Ich bin mit meinem Pferd wie immer den gewohnten Weg gegangen. Plötzlich ist es ohne ersichtlichen Grund durchgedreht, hat mir den Strick aus der Hand gerissen, ist in Panik davongerannt und in den Zaun gelaufen. Jetzt habe ich eine verletzte Schulter, mein Pferd eine große Wunde. Ab und zu tickt es einfach aus – ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Ich liebe ihn, aber manchmal denke ich: Vielleicht sollte ich ihn verkaufen.
Ich ging mit meinem Menschen den Weg entlang. Rechts lag ein großer Sandhaufen. Ich hatte diesen Sand schon gesehen, aber heute sah er anders aus. Ich musste stehen bleiben und sicherstellen, dass hinter dieser Veränderung keine Bedrohung für mein Leben lauerte. Ich hob den Kopf, um besser sehen zu können, meine Halsmuskeln spannten sich – bereit zur Flucht, falls nötig.
Aus irgendeinem Grund wollte mein Mensch mich weiterziehen. Ich versuchte, rückwärts zu gehen – weg vom Sand, um meine Angst etwas abzubauen – aber das schien meinen Menschen nur dazu zu bringen, noch stärker zu ziehen. Jetzt konnte ich nicht mehr zurück, aber auch nicht nach vorn – also blieb mir nur der Weg nach oben. Als ich mich aufrichtete, zog mein Mensch hart an meinem Kopf.
Ich fühlte mich eingesperrt, konnte weder meinen Kopf noch meine Füße bewegen. Das löste Panik aus. Ich hörte auf zu denken. Mein Gehirn schaltete auf Überleben. Ich reagierte rein instinktiv: Ich musste weg, egal wie. Und wenn dabei jemand zu Schaden kommt – auch mein Mensch – ist das egal. Ich will einfach nur leben.
Wenn wir eine Führungspersönlichkeit für unser Pferd sein wollen – eine, der es vertraut, die es respektiert und auf die es ohne Widerstand reagiert –, dann müssen wir lernen, die Welt mit seinen Augen zu sehen. Wir müssen seine Natur als Fluchttier verstehen.
Wir müssen seine fünf Auslöser kennen, die ihn von der linken in die rechte Gehirnhälfte bringen. Wir müssen die verschiedenen Verhaltenszeichen erkennen, die anzeigen, wann unser Pferd denkt – oder nur noch reagiert.
Und schließlich müssen wir unsere gemeinsame Sprache trainieren – am Boden wie im Sattel –, damit wir eingreifen können, sobald unser Pferd erste Anzeichen zeigt, nach „rechts“ zu kippen. Damit wir ihm helfen können, wieder zurück ins Denken zu kommen.
Passend hierzu die folgenden Beiträge von Tim Hayes auf unserer Webseite.
Tim Hayes ist Experte für Pferdeverhalten und -therapie und hat sich auf Natural Horsemanship spezialisiert. Er bietet verschiedene Seminare (engl. Clinics) an, die auf seinen Büchern „Riding Home-The Power of Horses to Heal“ und „Horses, Humans, and Love“ basieren.
Hayes ist dafür bekannt, außergewöhnliche Beziehungen zwischen Pferden und Menschen zu fördern. Seine Arbeit konzentriert sich auf drei Hauptbereiche: Equine Therapy Clinics, Self-Discovery Clinics und Natural Horsemanship Clinics.
Für detailliertere Informationen können Sie seine Website hier besuchen.
Reitsport Sattel Nord GmbH
GF: Marcus Sieg
Röntgenstraße 7
24537 Neumünster
Telefon / WhatsApp:
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E-Mail: office (at) rsnord.de
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